Frau Holle - Psychologie in Märchen und Sagen
Shownotes
"Zwischen den Jahren - zwischen die Ohren": Heute nehmen Christian und Franca nochmal einen richtigen Märchenklassiker auseinander: Frau Holle. Und damit endet die kleine Serie auch schon wieder. Danke, dass ihr so viel zugehört habt dieses Jahr!
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00:00:00: Hallo und herzlich willkommen zu unserer letzten Folge für dieses Jahr zwischen den Jahren, zwischen die Ohren.
00:00:07: Heute setzen wir uns nochmal mit unserem großen Märchenbuch ganz klassisch mit einem Gebrüder Grimmmärchen vor den Kamin in unsere großen Sessel, lassen das Feuer knistern und machen es uns so richtig gemütlich.
00:00:23: Hallo, Franka.
00:00:24: Hallo, Christian.
00:00:26: Na, sag mal, hast du irgendwo unsere Katze gesehen?
00:00:29: Nee, die ist, glaube ich, gerade raus in den Schnee gestapft.
00:00:34: Vielleicht vermutet sie unter unserem Vogelhäuschen, einen geschickten Fang machen zu können.
00:00:39: Ich würde mich nicht darüber freuen, aber die ist jetzt rausgetappt.
00:00:43: Aber apropos Katze, uns ist eine Nachricht zugetragen worden.
00:00:47: Und zwar hatten wir ja schon erzählt, dass unsere virtuelle Weihnachtskatze Fans hat.
00:00:52: Und das Leute uns geschrieben haben, sie hoffen, dass auch die Katze wieder dabei ist.
00:00:56: Und natürlich ist sie das, aber weißt du, was ich nicht wusste?
00:00:58: Nicht nur gibt es Fans unserer Katze, sondern Katzen sind auch unsere Fans.
00:01:04: Uns ist eine Nachricht sozusagen zugespielt worden.
00:01:08: Und zwar werden die zwischen den Jahren, zwischen die Ohren-Podcasts an Silvester zur Beruhigung von verschiedenen Katzen gehört.
00:01:20: Ja.
00:01:20: Also es stand wörtlich da so.
00:01:22: Der Podcast läuft rauf und runter, weil sich das positiv aufs vierbeinige Getier auswirkt.
00:01:28: Aber die Herrchen würden auch ab und an hinhören.
00:01:33: Okay, also dann herzlich willkommen auch, liebe Katzen.
00:01:38: Da ist sie ja.
00:01:42: Komm mal hoch, Jörg, komm.
00:01:45: So ist es fein.
00:01:47: Okay, also.
00:01:48: Heute sind wir wieder zu zweit und besinnen uns an diesem letzten Tag des Jahres nochmal.
00:01:55: Auf ein klassisches Märchen, du hast es schon gesagt.
00:01:58: Und weil wir gerade aus Thüringen kommen und dort durch das Frau Holleland gefahren sind, bietet es sich natürlich an, Frau Holle zu erzählen.
00:02:09: Ich glaube, das Frau Holleland ist in Nordost-Hessen.
00:02:14: Also nicht, dass wir jetzt Ärger kriegen, weil wir Frau Holle nach Thüringen verlegt haben.
00:02:18: Es war halt auf dem Weg nach Thüringen.
00:02:20: Ja,
00:02:20: ja, ja.
00:02:21: Und ich kann ja beides als ehemalige Heimat bezeichnen.
00:02:25: Franka, ich hab hier das große, schwere Märchenbuch.
00:02:28: Würdest du daraus vorlesen?
00:02:29: Na klar.
00:02:30: Warte, ich geb's dir.
00:02:33: Okay.
00:02:33: Also.
00:02:43: Eine Witwe hatte zwei Töchter.
00:02:46: Davon war die eine schön und fleißig, die andere hässlich und faul.
00:02:53: Sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein.
00:03:04: Das arme Mädchen musste sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und musste so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang.
00:03:14: Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen.
00:03:21: Sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab.
00:03:25: Es weinte, lief zu Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück.
00:03:29: Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, dass sie sprach.
00:03:34: Du hast die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.
00:03:39: Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfangen sollte.
00:03:45: Und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen.
00:03:52: Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und vieltausend Blumen standen.
00:04:04: Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot.
00:04:09: Das Brot aber rief, ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken.
00:04:17: Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus.
00:04:23: Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel und rief ihm zu, ach schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.
00:04:33: Da schüttelte es den Baum, dass die Äpfel vielen als regneten sie und schüttelte bis keiner mehr oben war.
00:04:39: Und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter.
00:04:44: Endlich kam es zu einem kleinen Haus.
00:04:47: Daraus guckte eine alte Frau.
00:04:50: weil sie aber so große Zähne hatte, waren ihm Angst und es wollte fortlaufen.
00:04:55: Die alte Frau aber rief ihm nach, was fürchtest du dich, liebes Kind?
00:05:00: Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll dir es gut gehen.
00:05:06: Du musst nur acht geben, dass du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, dass die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt.
00:05:16: Ich bin die Frau Holle.
00:05:18: Weil die Alte ihm so gut zusprach, so fasste sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst.
00:05:26: Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, daß die Federn wie Schneeflocken umherflogen.
00:05:35: Dafür hatte es auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage gesottenes und gebratenes.
00:05:43: Nun war es eine Zeit lang bei der Frau Holle, da war es traurig und wusste anfangs selbst nicht, was ihm fehlte.
00:05:50: Endlich merkte es, dass es Heimweh war.
00:05:54: Ob es ihm hier gleich viel tausendmal besser ging als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin.
00:06:01: Endlich sagte es zu ihr, ich habe den Jammer nach Hause gekriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben.
00:06:10: Ich muss wieder hinauf zu den Meinigen.
00:06:12: Die Frau Holle sagte, es gefällt mir, dass du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.
00:06:20: Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Tor.
00:06:25: Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, sodass es über und über davon bedeckt war.
00:06:37: »Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist,« sprach die Frau Holle, »und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war.«.
00:06:46: Darauf wart das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus, und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief, »Kickerikki, unsere goldene Jungfrau ist wieder he!«.
00:07:03: Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen.
00:07:12: Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum gekommen war, wollte sie der anderen hässlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen.
00:07:24: Sie musste sich an den Brunnen setzen und spinnen, und damit ihre Spule blutig war, stach sie sich in die Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke.
00:07:34: Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein.
00:07:38: Sie kam wie die andere auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter.
00:07:44: Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder, ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken.
00:07:54: Die Faule aber antwortete, da hätte ich Lust, mich schmutzig zu machen, und ging fort.
00:08:00: Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief, ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.
00:08:07: Sie antwortete aber, du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen, und ging damit weiter.
00:08:15: Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr.
00:08:24: Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde.
00:08:35: Am zweiten Tag aber fing sie schon an zu Faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen.
00:08:44: Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie es sich gebührte, und schüttelte es nicht, daß die Federn flogen.
00:08:50: Da wart die Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf.
00:08:54: Die Faule war das wohl zufrieden und meinte nun würde der Goldregen kommen.
00:08:59: Die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor.
00:09:03: Als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet.
00:09:10: »Das ist zur Belohnung deiner Dienste«, sagte die Frau Holle und schloss das Tor zu.
00:09:16: Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief,
00:09:24: Kickerikie,
00:09:26: unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.
00:09:29: Das Pech aber blieb fest an ihr Heng und wollte, solange sie lebte, nicht abgehen.
00:09:44: Das war sehr schön.
00:09:46: Und Franka, du hast uns jetzt eine etwas neuere Version vorgelesen.
00:09:52: Das muss man vielleicht dazu sagen, die Gebrüder Grimm haben ihre Märchen, über die Dauer der Jahre immer wieder etwas angepasst.
00:09:59: Sie haben auch gesagt, veredelt.
00:10:01: Und ich sag das deswegen, weil in der ersten Version von eighteenhundertzwölf oder achtzundhundertdreizehn ist es nämlich gar nicht die Stiefmutter oder Stieftochter, sondern es ist die leibliche Mutter.
00:10:11: Da heißt es nur, eine Witwe hatte zwei Töchter.
00:10:14: Das macht die Konstruktion für mich noch ein bisschen spannender.
00:10:20: Was macht die Konstruktion spannender?
00:10:22: dass die leibliche Mutter ihre Töchter in eine gute und eine schlechte einteilt.
00:10:28: Im Verlauf haben die Gebrüder Krim vielleicht, weil sie selber auch nicht aushalten konnten, dieses irrationale, dass eine Mutter eine Tochter liebt und eine hasst oder super schlecht behandelt, gar nicht aushalten können und haben deswegen dieses Stiefmutter narrativ eingeführt.
00:10:42: Das mag aber eventuell auch dem Umstand geschuldet sein, dass ja ... Real Frauen damals sehr vielen Geburten, ich sag jetzt mal ausgesetzt waren, und Geburten waren gefährlich und Frauen sind im Kindsbett gestorben.
00:10:57: Und wenn dann der Vater mit kleinen Kindern zurückblieb und neu geheiratet hat, gab es wahrscheinlich gar nicht mal so selten diese Stiefgeschwister und Haltgeschwisterkonstellation mit Konkurrenz untereinander und das Patchwork auch kompliziert sein kann.
00:11:16: Das zieht sich ja so durch.
00:11:19: Ja, ganz besonders, wenn man zu damaligen Zeiten noch um Ressourcen konkurrieren musste, die absolut lebensnotwendig waren, wenn es wirklich um die Menge des Essens ging.
00:11:30: Aber wir wollen es ja ein bisschen psychologisch durchgehen.
00:11:32: Sag mir bitte, was ist so mit das Erste, was dir einfällt?
00:11:36: Ja, also erst mal ist es natürlich eine Geschichte über Fleiß und Faulheit und über Belohnung und Bestrafung.
00:11:43: Und es soll sicherlich ... vor allen Dingen die Moral tragen, dass wer fleißig ist und gehorcht und umtriebig ist und so weiter ein Lohn erhält, also symbolisch sozusagen mit Gold überschüttet werden wird.
00:12:00: Und wer da hingegen, so wie die faulisch Wester, das nur vorschützt, also sie versucht ja sozusagen das Ergebnis zu imitieren, aber ohne die Anstrengung.
00:12:11: Also sie macht ja Fasser der nur so ähnliche Punkte.
00:12:14: Sie stürzt sich in den Brunnen, sie piekt sich absichtlich in den Finger, aber sie legt halt keine echte Anstrengung rein, keine Umsicht.
00:12:23: Sie ist weder empathisch mit dem Brot, noch hilft sie den Äpfeln vom Baum, sondern sie denkt, sie hat eine Abkürzung gefunden.
00:12:29: Und das wird bestraft.
00:12:32: Soweit die Moral.
00:12:34: Mit meinem etwas psychiatrischen Blick musste ich mir allerdings sofort die Mutter vorknüpfen.
00:12:38: Was macht also die Mutter, die zwei Töchter hat und beide komplett anders sieht und anders behandelt?
00:12:47: Die eine wird verwöhnt und geliebt, die andere wird eher gehasst und schlecht behandelt.
00:12:52: Und da würde ich sagen, eine Möglichkeit ist, dass die Mutter es nicht schafft, ihre eigenen, guten und schlechten Anteile in sich zu integrieren, sondern sie lebt sie im Außen, ihre schlechten Anteile werden projiziert, auf die eine Tochter, die sie nicht leiden kann.
00:13:12: Und die schickt sie mal zum Arbeiten.
00:13:13: Das ist kein Problem.
00:13:14: Die anderen guten Anteile kriegt ihre, in Anführungszeichen, rechte Tochter.
00:13:20: Und man könnte davon sprechen, dass das eine nazistische Extension ist.
00:13:24: Das heißt, die Mutter selber spielt jetzt keine große Rolle, weiß man nicht, was die kann, aber sie hat eine ganz tolle Tochter.
00:13:30: Und diese tolle Tochter als Erweiterung ihrer selbst ist super, super.
00:13:35: Und alle ihre negativen Gefühle kriegt die andere Tochter ab.
00:13:38: Also wir haben zwei mögliche psychologische Phänomene, nazistische Extension und Projektionsphänomene.
00:13:45: Allerdings, so mit der nazistischen Extension, wenn wir uns mal angucken, was Nazismus im Kern so ist, dann hat das ja schon immer was von Geltungsbewusstsein und dem VIP-Status.
00:13:56: Das hat sicherlich die hier sogenannte faulehessliche Tochter, also die... Spätere Pech-Marie, allerdings, was ja auch häufig zu einer nazistischen Akzentuierung gehört, nämlich auch was Leistungsbewusstes, was Ehrgeiziges, etwas, was auf Anerkennung abzielt, hat sie ja jetzt nicht so.
00:14:15: Das stimmt, das ist auch ein bisschen Fantasie von mir, so explizit ist das im Märchen auch nicht erwähnt.
00:14:21: Allerdings, wenn ich zurückgehe an das Ende, dann kriegt die Goldmarie erst an Erkennung, wenn sie mit Gold kommt, wenn sie ein externales Anerkennungssymbol mitbringt.
00:14:32: Vorher nicht.
00:14:33: Vorher ist nichts gut genug und sie muss spinnen, bis alles blutig ist.
00:14:36: Sie muss sich sogar streng genommen in den Tod
00:14:39: stürzen.
00:14:39: Sie muss sich sogar in den Tod stürzen, ja.
00:14:41: Also, weil das ist ja doch das, was passiert.
00:14:44: Oder wie interpretieren wir das?
00:14:45: Dass sie sich weinend und in ihrer Verzweiflung in den Brunnen stürzt, das ist schon eine durchaus lebensbedrohliche Aktion.
00:14:54: Und dann kommt sie zu sich auf dieser wunderschönen Wiese.
00:14:57: Es ist ja schon so, als sei der Brunnen eine Art Durchgangsportal.
00:15:01: Und sie kommt in einer anderen Welt zu sich.
00:15:05: Vielleicht ist es so eine Art Nahtoderlebnis, dass sie da hat?
00:15:11: Ja.
00:15:11: Schöne Wiese, tolle Bäume.
00:15:13: Sprechende
00:15:13: Backöfen.
00:15:15: Spannenderweise fällt sie nach unten und kommt in so was wie dem Himmel raus.
00:15:19: Denn wenn die Betten aufgeschüttelt werden, fällt Schnee auf die Erde.
00:15:23: Das ist ja ...
00:15:24: Stimmt.
00:15:25: So ähnlich ist es ja, durchaus beim Menschen auch.
00:15:28: Es geht nach dem Tod in die Erde.
00:15:30: Dann kommst du in den
00:15:32: Himmel.
00:15:34: Da erfährt sie zum ersten Mal übrigens Anerkennung.
00:15:37: für ihren Fleiß und dafür, dass sie freundlich ist und dass sie sich dem Brot und den Äpfeln und der latentgruseligen Frau Holle zuwendet, da wird sie nett behandelt.
00:15:49: Und sie sagt selber, ich hab's tausendmal besser hier als zu Hause.
00:15:53: Ja.
00:15:54: Und was will sie nach Hause?
00:15:57: Ist das ein Phänomen, das wir kennen?
00:15:58: Leider ... Nur zu gut, das ist tatsächlich so häufig zu beobachten, dass Menschen sich nach den Umständen zurücksehnen, die ihnen vertraut sind.
00:16:09: Selbst wenn sie wissen, dass sie nicht gut sind.
00:16:13: Faszinierend.
00:16:14: Ja, aber auch ein bisschen tragisch.
00:16:17: Da könnte ich jetzt ganz viel ausholen, dass Menschen immer wieder zurückgehen in die gleichen dysfunktionalen Beziehungen, weil sich dieser stetige Stress und der Tumult und all das, was sich dort abspielt, einfach anfühlt wie zu Hause.
00:16:33: Und hier kommen wir vielleicht zu einer etwas versteckteren Moral oder Lehre dieses Märchens, denn wer es hört, wird sich auch denken, warum macht Goldmaritas?
00:16:42: Es ist vielleicht doch eine gewisse Art von Rat, musst du nicht, mach das nicht.
00:16:46: Geh nicht unbedingt zurück.
00:16:48: Ja, dann, wenn du Gold hast, bist du an Erkennung bekommen.
00:16:50: Okay, aber wer erwartet echte Liebe oder echte Zuneigung, das wird nicht kommen.
00:16:55: Sie wird
00:16:55: gut aufgenommen.
00:16:56: Jetzt wird
00:16:58: sie gut aufgenommen.
00:16:59: Aber was ich ganz komisch finde, ist, dass die Frau Holle auch sagt, es gefällt mir, dass du nach Hause willst.
00:17:05: Das, finde ich, ist so ein richtig ... Also, ich finde ja ohnehin die Moral von diesen Märchen wie so oft bei den grimmischen Märchen ein bisschen fragwürdig.
00:17:13: Im Kern, tausend Prozent frauenfeindlich.
00:17:17: Und dann noch zu sagen, ich finde gut, dass du nach Hause möchtest.
00:17:21: Selbst wenn du da so doll gelitten hast, finde ich richtig ätzend.
00:17:25: Ich interpretiere es anders.
00:17:26: Sie sagt es, weil Frau Holle im Grunde sagt, ich finde es gut, dass du leben willst.
00:17:32: Denn vorher hat sie den Tod ja gewählt.
00:17:34: Sie konnte gar nichts anderes.
00:17:36: Golden Marie ist leider ein tolles Beispiel für erlernte Hilflosigkeit oder sogar für ... Podcast vor nicht so sehr langer Zeit darüber gesprochen, eine Fawn-Response.
00:17:47: Das heißt, Goldmarie hat vorher durch die schlechte Behandlung zu Hause gelernt, dass, egal was sie tut, sie sich nicht wehren kann.
00:17:56: Und in einer Art voraus ein Gehorsam und in einer Art Unterwerfungsgeste, Fawn-Response, macht sie einfach das, was man ihr sagt.
00:18:06: Also, sowohl stürzt sie sich in den Tod, in den Brunnen als auch reagiert sie sofort auf die erste Anweisung, holen mich raus.
00:18:12: Ich bin Brot, als Schüttel mich, ich bin Äpfel.
00:18:16: Ja.
00:18:18: Und im späteren Verlauf sagt dann Frau Holle, mir gefällt es, dass du wieder ins Leben willst.
00:18:24: Okay, verstehe.
00:18:27: Aber eigentlich so wirklich keine schöne Geschichte, ne?
00:18:30: Also, die Goldmarie lebt damit ihrer Stiefmutter und ihrer Stiefschwester.
00:18:34: Sie ist so was wie ein parentifiziertes Kind.
00:18:36: Sie übernimmt Erwachsenenaufgaben, kümmert sich im Grunde um alles.
00:18:42: bis ihr das Blut aus den Fingern springt, dann stürzt sie sich verzweifelt in den Brunnen, wo zwar alles schön ist, aber letztlich was wartet da auf sie?
00:18:52: Auch Arbeit.
00:18:53: Nur Arbeit.
00:18:54: Aber diesmal immerhin für Anerkennung.
00:18:56: Und Gebratenes und Gesottenes.
00:18:58: Und Essen, ja, gut.
00:19:00: Das hinterlässt übrigens gar nicht so ein wahnsinnig gutes Bild vielleicht von Frau Holle, zu der wir auch kurz kommen müssen.
00:19:06: Denn ich frage mich, was macht denn Frau Holle in der Zeit?
00:19:11: Ja,
00:19:11: ja.
00:19:12: Goldmarie lässt es passieren, lässt es geschehen, tut, was man ihr aufträgt und dadurch wird es hier einigermaßen freundlich behandelt.
00:19:20: Jetzt kommt aber die Pechmarie und als die kommt, sage ich jetzt hochgradig imanzipiert, die sagt, hör mal zu, kann ich auch mal machen, aber prinzipiell habe ich keine Lust.
00:19:31: Sie musste
00:19:32: sich gewalt antun.
00:19:33: Ja, sie musste sich gewalt antun und was so.
00:19:35: Sie musste
00:19:35: sich gewalt antun, um mal aufzustehen.
00:19:37: Ja, also, was?
00:19:39: Brot?
00:19:39: Nö, da könnte mir was passieren, mach ich nicht.
00:19:42: Äpfel schütteln?
00:19:42: Nee, mach ich nicht.
00:19:43: Fühl ich nicht.
00:19:44: Fühl ich nicht.
00:19:45: Das ist die Widersetzung.
00:19:47: Das kann man auch erst mal positiv betrachten.
00:19:50: Und jetzt, pass auf, jetzt kommt ein Twist.
00:19:52: Sie kriegt dafür Pech.
00:19:56: Ein Überzug aus Pech.
00:19:58: Dieses Pech macht sie komplett unattraktiv und somit entkommt sie auch dem typischen weiblichen Narrativ.
00:20:07: von damals, dass zum Beispiel sie dann einen Mann bekommt und da weiterarbeiten muss.
00:20:11: Sie muss nicht mehr.
00:20:12: Sie hat nicht nur Pech bekommen als Strafe, sondern gleichzeitig ist es auch ein Schutzpanzer.
00:20:19: Was hältst du davon?
00:20:20: Okay, also das Pech ist das, was sie aus den patriarchalen Strukturen löst.
00:20:25: Und wenn sie Glück hat, wird ihre fleißige, in der Kehrarbeit völlig aufgehende Goldschwester sie mit durchziehen oder so.
00:20:35: Interessanterweise, wenn die so draufbleibt, macht die das auch.
00:20:37: Dann macht
00:20:37: die das auch.
00:20:38: Ist ja ihre Schwester.
00:20:39: Ja.
00:20:40: Dann teilt die das Gold und hat die keins mehr.
00:20:42: Was hältst du von der Idee, dass die beiden gar nicht zwei verschiedene Personen sind, sondern im Grunde genommen eine Person?
00:20:50: Und wir würden ja verstehen oder heutzutage sagen, hey, diese Anteile, diese unterwürfigen, fleißigen, bis zur Selbstaufgabe, sind so nicht richtig, auch wenn du sie in dir hast.
00:21:03: Und diese oppositionellen verweigerten, hedonistischen, der eigenen lustfolgenden Anteile, die müssen irgendwie miteinander integriert werden.
00:21:12: Eigentlich sollte da durch eine einzelne gut funktionierende Person und Seele rauskommen.
00:21:19: Ja, die beiden sind schon wie Pole von zwei Extremen, die man ausbalancieren müsste.
00:21:27: Übrigens noch mal zu Frau Halle.
00:21:29: Das hat ja so ein bisschen einen göttlichen Anschein.
00:21:33: Wir haben davon gesprochen, es geht durch den Brunnen, irgendwie in eine andere Welt, wie vielleicht in den Tod oder ins Paradies.
00:21:39: Und dass Frau Holle im Märchen existiert, das hat offenbar ganz, ganz weitreichende Ursprünge.
00:21:46: Eine Frau namens Holder taucht schon in der germanischen Mythologie auf und in der nordischen Mythologie ist es hell.
00:21:51: In den Raunechten heißt es, führt hell die wilde Jagd an.
00:21:57: Die wilde Jagd kenne ich aus den Büchern und der Serie vom Witcher.
00:22:03: Ja.
00:22:04: So ein Fantasie-Roman.
00:22:05: Ja, und vom Spiel.
00:22:07: Okay, interessant, wie dann so einzelne Gestalten über die Jahre und Jahrhunderte weitergetragen werden und anscheinend mal hier und da verwoben werden.
00:22:17: Und vielleicht ist diese gruselige Totenwächteraspekt, den die ganz ursprüngliche Frau Hollemahl hatte, nur noch erkennbar in ihren langen Zähnen.
00:22:27: Oder was machst du daraus?
00:22:30: Das ist die Idee dahinter auch.
00:22:33: Weil sie ist ja keine niedliche Oma Plüsch.
00:22:36: Auch wenn sie so dargestellt wird in den Kinderbüchern.
00:22:38: Ja,
00:22:38: aber hier wird sie ja durchaus erst mal ein bisschen befremdlich und gruselig dargestellt, obwohl sie ja eine bei weitem nettere Person zu sein scheint als die Stiefmutter zum Beispiel.
00:22:48: Aber sie sieht gruselig aus.
00:22:50: Weißt du, an wen mich das erinnert hat?
00:22:53: Haben wir noch nicht besprochen, bei Rotkäppchen an den Wolf.
00:22:57: Denn der hat auch lange Zähne.
00:22:59: Ja, Großmutter, warum hast du so lange Zähne?
00:23:01: Ja,
00:23:02: und wird mit Großmutter angesprochen.
00:23:04: Das ist irgendwie die gleiche Idee.
00:23:05: Was ist
00:23:05: das?
00:23:06: Da müsste man vielleicht mal nachforschen, dass es damit auf sich hat.
00:23:10: Böse alte Frauen, ja.
00:23:13: Die haben wahrscheinlich, wie heißt das denn?
00:23:14: Weißt du, wenn das Zahnfleisch sich so zurückbildet?
00:23:17: Parothontose.
00:23:20: Na ja, aber alles in allem ist, glaube ich, die Botschaft, die die Grims mutmaßlich intendiert hatten, dass eben Fleiß und Gehorsam wichtig sind.
00:23:29: Und wenn man so eben nicht ist, dann passiert XY.
00:23:33: Zum Beispiel, dann wird das Pech für immer an dir kleben.
00:23:36: Das ist ja für Geschichten dieser Zeit nicht untypisch.
00:23:40: Manchmal wundere ich mich.
00:23:43: Mir kommt's nicht so lang her vor, weißt du?
00:23:45: Je nach Betrachtungsweise ist es nicht so lang her.
00:23:48: Na ja, wenn ich mir überlege, meine Oma ist vier geboren.
00:23:56: Und das kommt deshalb zustande, weil meine Oma spät dann noch mein Mutter meines Vaters geworden ist.
00:24:00: Und mein Vater spät mein Vater geworden ist.
00:24:04: Aber das ist doch unglaublich.
00:24:05: Das heißt zur Zeit der Geburt meiner Großmutter.
00:24:09: War das ja jetzt noch kein uraltes Märchen?
00:24:12: Von den Grimms?
00:24:14: Nee, die waren so... ...sechzig Jahre alt, fünfzig, sechszig Jahre alt.
00:24:17: Ja,
00:24:17: überleg mal.
00:24:19: Das ist wie wenn wir jetzt so ein Heinz-Rühmann-Schinken gucken.
00:24:22: Die sind teilweise noch älter, ja, absolut.
00:24:24: Ja, genau.
00:24:25: Da, ja, weißt du, das kommt mit... Vor wie so ein Echo aus einer uralten Zeit.
00:24:31: und gleichzeitig finde ich es manchmal sehr krass, mir zu überlegen, wie stark sich die Gesellschaft verändert hat seither und wie wir da heute drauf schauen auf diese Märchen und auch diese vermeintliche Moral und diese Botschaften und all das in Frage stellen.
00:24:44: Natürlich auch das Frauenbild.
00:24:46: All das kommt uns fremd vor.
00:24:50: Und gleichzeitig gibt es die Dilemmata und Probleme, die es damals gab, heute noch genauso.
00:24:57: Was meinst du?
00:24:58: Schwierige Situationen in Familien, schlechte Behandlungen durch Eltern, Konflikte mit den Arbeitgebern, Frauenrolle.
00:25:06: Und natürlich die psychologischen Auffälligkeiten von erlernter Hilflosigkeit über Projektion.
00:25:12: Unsichtbarer Kehrarbeit.
00:25:14: Ja, zum Beispiel.
00:25:16: Ja, also für mich ist es halt klar, so was wie eine Verhaltensanleitung für Mädchen dieser Zeit.
00:25:22: Also sei fleißig, sonst pech.
00:25:24: Es ist eine Initiationsgeschichte, allerdings keine Kuhle.
00:25:28: Also so was wie Stirb und werde wiedergeboren, aber es ist auch nicht so viel besser.
00:25:34: Arbeit ist es anyway.
00:25:37: Ja, und dann halt das Familiendrama.
00:25:39: Also noch so viel Gold rettet dich nicht vor dysfunktionalen Systemen.
00:25:44: Du wirst dann gut aufgenommen, aber es wird deine Situation nicht verbessern.
00:25:49: Und ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich fragen will, aber so ... Diese Symbole von dem Brunnen-Schacht oder auch dem Ofen.
00:26:00: hast du da noch freudianische Interpretationen auf Lager.
00:26:07: Ah, da wusste ich gar nicht, ob ich das wirklich sagen soll.
00:26:10: Das springt mich aber natürlich sofort an.
00:26:14: Beginnen damit, dass sowohl die Goldmarie als auch Pechmarie zunächst Blut fließen lassen müssen, um einem ... und danach folgenden, sagen wir mal, Initiationsritus oder Ähnlichem zu folgen.
00:26:28: Weitergehend über die Interpretation, dass das in den dunklen, langen Bodenfallen eine Art Regression darstellen könnte.
00:26:39: Also Goldmari kann sich gar nicht gegen die Mutter wehren und weil sie sich nicht wehren kann, will sie zurückfallen in einen ganz, ganz kleinkindlichen, praktisch Perinatalen Zustand durch die Brunnengeburtskanal zurück in die Gebärmutter.
00:26:54: Bedürfnislosigkeit, paradiesische Zustände.
00:26:59: Und das wäre eine Interpretation, die sich mir natürlich sofort aufdrängt.
00:27:03: Und dann kommt sie, bitte sehr, und dann beginnt die Nachreifung.
00:27:08: wenn man so will, weil sie ja gut reifen konnte, nicht in der Ursprungsfamilie.
00:27:13: Und die Nachreifung ist zum Beispiel, dass sie als dann größeres Mädchen bei der Geburt der Brote aus dem Ofen helfen muss.
00:27:23: Das macht sie.
00:27:24: Ich, Marie, sag, das fehlt mir noch.
00:27:26: Ich mach mich deutlich schmutzig.
00:27:27: Ja, danach kommt sie zu dem Apfelbaum.
00:27:30: Die Äpfel, die geerntet werden müssen, wie der Sündenfall.
00:27:34: Sie muss wie verrückt an den Baum schütteln.
00:27:36: Lass uns das einfach nicht weiter ausführen.
00:27:39: Aber auch da sagt die Pechmarie, nee, könnte mir auf den Kopf fallen.
00:27:44: Macht sie auch nicht.
00:27:45: Das bedeutet, sie geht nicht durch so Reifungsprozesse hindurch.
00:27:51: Sie muss ja auch nicht nachreifen.
00:27:52: Sie hat ja den kindlichen Zustand auf Erden schon.
00:27:56: Bei Mama, die sie liebt und verhetschelt.
00:27:59: Und unsere Goldmarie halt nicht.
00:28:01: Genau.
00:28:02: Sie wird also zur Frau.
00:28:07: Ich habe das nicht gesagt.
00:28:09: Wer denn?
00:28:10: Das sind Gedanken, die im Raum stehen und ich habe sie nur benannt.
00:28:15: Also ich habe die nur, das ist wie eine Statue schon in einem Stein steckt, nur herausgemeißelt.
00:28:23: Ohm so tragischer, dass die so gereifte, geschüttelte, beäpfelte und bebrotete Frau zurückgeht zu ihrer Mutter, zu ihrer Stiefmutter.
00:28:34: Da explizit aber nichts über den weiteren Verlauf steht, stellen wir uns vor.
00:28:38: Sie zeigt dir das Gold und geht dann glücklich ihrer Wege.
00:28:41: Das fände ich mal ein gutes Happy End, ja.
00:28:44: Geckere Gee, die Goldmarie ist leider gar nicht mehr hier.
00:28:50: Die Goldmarie ist gegangen und lebte dann glücklich und zufrieden.
00:28:54: So wie nie.
00:28:55: Nachgereift.
00:28:58: Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie wohl noch heute.
00:29:02: Sehr schön.
00:29:03: Wenn ihr noch weitere Märchen ein bisschen launig interpretiert von uns hören wollt, scrollt in eurem Podcast-Browser einfach zurück auf das letzte Jahr.
00:29:12: Dort gibt es auch schon zwischen den Jahren, zwischen die Ohren.
00:29:14: Wir wünschen euch einen wundervollen Übergang ins nächste Jahr.
00:29:19: Wir freuen uns natürlich wie immer über Feedback.
00:29:22: Wir freuen uns, wenn ihr auf den Abonnieren-Button im Podcast klickt.
00:29:26: Und wir freuen uns, wenn ihr auch im nächsten Jahr wieder so viel zuhört, wie ihr es schon ... dieses Jahr getan hat.
00:29:32: Kommt gut rein und wir hören uns wie immer Sonntags.
00:29:35: Bis dann.
00:29:36: Tschüss.
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